Fachhochschule Aalen - Hochschule für Technik und Wirtschaft, 73428 Aalen
Ein Beitrag zur Tagung POSTING
Dieser Beitrag besteht - vorläufig noch - aus zwei Teilen: Einem Text zum Thema Modellbildung und Verantwortung am Beispiel der Umweltinformatik (mod. nach Holzbaur 1994) und einer Zusammenstellung von Bezügen dieses Textes zu den Themen des Workshops. Ergänzend dazu siehe die Stichwortsammlung und Zusammenfassung des Vortrags "Informatik und Verantwortung - Dürfen Computer lügen?"
In der Diskussion des Themas Modellbildung und Verantwortung hinsichtlich der Themen des Workshops wird nicht nur auf den Text, sondern auch auf die Verantwortung für die Modellbildung im Hinblick auf neue Medien und Fernlehre eingegangen.
Diese Komplexität kann nur dann gemeistert werden, wenn die
Basis jedes Systems eine saubere Modellierung ist, bei der alle Zusammenhänge
angemessen berücksichtigt, der Realitätsbezug aller Modellgrößen
klar festgehalten wird und die Darstellungen von Ergebnissen auf die möglichen
Interpretationen abgestimmt sind (Holzbaur 1993a). Diese Modellierung ist
ein wichtiger Teil der Aufgabe des Umwelt-Informatikers, die neben Informatik-
und Fachkenntnissen Abstraktionsvermögen erfordert.
In der klassischen Softwareentwicklung gehen diese beiden Modelle
ineinander über: Das Realweltmodell beschreibt einen betrieblichen
Ablauf (Ist-Zustand), das Spezifikationsmodell beschreibt dazu das automatisierte
System (Soll-Zustand, DV-Lösung). Diese Methodik ist immer dort angebracht,
wo die EDV ein Abbild eines existierenden Prozesses mit dem Ersetzen und
Automatisieren vorher manuell durchgeführter Tätigkeiten ist.
Dies gilt auch für ablauforientierte Systeme der Umweltinformatik
(z.B. Höll/ Schneider 1993).
Auch die Implementierung des datenverarbeitenden Systems selbst wird zum Teil als Modell eines realen Systems interpretiert: "Ein Software-System ist also ein maschinell interpretierbares Modell der realen Welt mit ihren Gegenständen, Handlungen und Beziehungen". (M.Jackson nach Sneed 1986). Wir werden uns im folgenden auch mit der Frage beschäftigen, inwieweit das Software-System Modell ist und wer wann was interpretiert.
Schwerpunkte der Umweltinformatik können wir in Zusammenfassung von (Mertens/Scheurer 1993 und Rolf/Page 1993) in den folgenden Bereichen sehen:
Obwohl die Begriffe betriebliche Umweltinformationssysteme (BUIS)
und geographische Umweltinformationssysteme (GUIS) formal keine Gegensätze
sind, da sie ja nach ganz anderen Entscheidungskriterien charakterisiert
sind, läßt sich die Masse aller UIS damit recht gut klassifizieren.
BUIS sind auf einen - meist privatwirtschaftlichen - Betrieb bezogen und sollen die Führung und die Umweltbeauftragten über umweltrelevante Fakten informieren. Betriebliche UIS sind von Planung, Aufbau und Einsatz her parallel zu Betrieblichen Informationssystemen oder Management-Informationssystemen, ihr Inhalt bezieht sich nur auf andere Aspekte - Ökologie, Umwelttechnik, Umweltinformation und den betrieblichen Umweltschutz.
GUIS sind flächenbezogene UIS, die damit derjenigen Körperschaft zugeordnet sind, die für die Fläche zuständig ist (Bund, Land, Regierungsbezirk/Präsidium, Kreis, Gemeinde). Im Schnitt dieser beiden Systemklassen liegen raumbezogene UIS der Betriebe, etwa zur Überwachung eines Geländes oder eines Kanalisationssystems, zur Schadstoffüberwachung oder für die für Werksfeuerwehr.
Zur weder-noch-Klasse, der nicht überdeckten Systeme gehören alle von der öffentlichen Verwaltung (Dienststelle) oder der Öffentlichkeit benutzten UIS, die nicht geographisch bezogen sind: Altlasten-Datenbanken, Juristische oder Stoff-Datenbanken. Dabei kann eine Dienststelle entweder als Überwachungsorgan (hoheitliche Aufgaben) oder als Wirtschaftsbetrieb fungieren. Man kann zumindest letztere gut in die Klasse der BUIS einreihen, da sich hier die Verwaltung nicht von einem "normalen" Betrieb unterscheidet. Hierzu gehören auch kommunale/ staatliche UIS, die der Vorgangsunterstützung bei Bearbeitung von Umweltschutzaufgaben dienen.
Allen UIS gemeinsam sind nun die Komponenten: Erfassung aller Daten + Komprimierung für die jeweilige Entscheidungsebene + Entscheidungsunterstützung
Allen UIS gemeinsam ist aber auch die Frage:
Gibt es auf der jeweiligen Entscheidungsebene jemanden,
der die Daten richtig interpretieren kann ?
Die Problematik, die sich hieraus ergibt, ist folgende: der Nutzer eines Umweltinformationssystems verwendet die Vielfalt der ihm dargebotenen Daten und der ihm dazu angebotenen Darstellungsmöglichkeiten, hat aber im allgemeinen nicht die statistischen und geographischen Kenntnisse, um "richtige" Darstellungen und Interpretationen von solchen zu unterscheiden, die irreführend sind. Wenn aber der Bürger im Rahmen des Umweltinformationsgesetzes (Taeger/ Weyer 1992) Zugang zu den Daten bekommt, muß auch sichergestellt sein, daß er diese Daten richtig interpretieren kann. Dabei ist noch zu unterscheiden zwischen demjenigen, der die Darstellung erstellt, und demjenigen, der sie als Endverbraucher betrachtet, interpretiert und sein Handeln danach ausrichtet.
Ein Beispiel der Fehlinformation durch irreführende Darstellung im Umweltbereich ist in (Holzbaur 1993a) erläutert. Solche Fehlinterpretationen sind nicht nur auf den Umweltbereich beschränkt. Sie werden - bewußt oder umbewußt - bei der Publikation von Ergebnissen eingesetzt, um eigene Ziele zu erreichen. Einige der Methoden, mit denen Mißinterpretationen hervorgerufen werden können, seien im folgenden erläutert:
Zu diesen Arten der Darstellung, die Fehlinterpretationen provozieren,
lassen sich insbesondere in Zeitschriften, die viel mit Zahlen operieren,
mühelos viele Beispiele finden.
Zur Modellbildung und zur Klassifikation von Modellen nach Zweck, Formalismus, Abstraktionsgrad und Problemlösungsmethode siehe z.B. (Holzbaur 1991). Eine entscheidende Rolle bei der Modellierung spielt die Auswahl des Modells. Wenn man sich nicht die Vielfalt der Klassen möglicher Modelle und Strukturen vor Augen hält, wird man dazu tendieren, alle Systeme in eine einzige, bekannte und gewohnte Struktur abzubilden, und so das Problem dieser Struktur oder Modellklasse anzupassen. Dies bewirkt eine Anpassung des Modells (modellierte Realität) an den Formalismus und kann dazu führen, daß bestimmte Aspekte der Realität nicht wahrgenommen werden. Diese Anpassung der Realität an das (durch seine Struktur vorgegebene) Modell verzerrt die Realität und führt zu einer in der Realität unbefriedigenden Lösung.
Die Überprüfung und Kritik eines einmal aufgestellten Modells ist genauso wichtig, da der Mensch dazu tendiert, alles zu akzeptieren, was plausibel ist. Modellkritik muß nichts negatives sein, die Kritik an einem Modell, oder Beurteilung des Modells, soll konstruktiv und am Zweck des Modells orientiert sein. Ein Modell, das nicht kritisiert und angepaßt wird, bietet keine Gewähr für die nötige Realitätsnähe und Brauchbarkeit. Modellkritik - oder positiv ausgedrückt Verifikation und Validierung - muß sich am Zweck des Modells orientieren, sie ist ein Teil der Qualitätssicherung. Dabei steht primär der Nutzen des Modells im Vordergrund, sekundäre Beurteilungsmerkmale sind Exaktheit, Formalität, Lesbarkeit, Flexibilität und andere Eigenschaften, die die Nützlichkeit des Modells beeinflussen.
Hanssmann, F. (1976): Systemforschung im Umweltschutz: praktikable Methoden zur Beurteilung von Gestaltungsalternativen im Systemzusammenhang, E.Schmidt, Berlin.
Höll, U./ Schneider, R. (1993): Die Vorgangsverwaltung als ein Instrument zur ganzheitlichen Bearbeitung von Vorgängen im Umweltschutz, in: Jaeschke et al.
Holzbaur, U. (1991): Modellierung komplexer Systeme - Einführung, Begriffe, Modelle, in: Holzbaur, U./ Kuhn, K.-P. (Hrsg.) Modellierung komplexer Systeme, Universitätsverlag, Ulm, S. 7 - 31.
Holzbaur, U. (1993a): Umweltinformatik und die Semantik der Daten, in: Informatik im Umweltschutz, 14, Oktober 93, S. 13 - 17.
Holzbaur, U. (1993b): Zur Problematik von Planspielen - am Beispiel des ökologisch-ökonomischen Planspiels Öko², in: Holzbaur, U./ Zwiesler, H.-J. (Hrsg.) Wechselwirkungen, Universitätsverlag, Ulm, S. 41 - 52.
Holzbaur, U. (1994): Modellbildung - die Verantwortung des Umweltinformatikers. in: Hilty et al (eds) Informatik für den Umweltschutz ´94. Metropolis, Marburg, 1994. S. 427 - 434.
Jaeschke, A./ Kämpke, T./ Page, B./ Radermacher, F.-J. (1993): Informatik für den Umweltschutz,. Springer, Berlin.
Mertens, P./ Scheurer, A. (1993): Beiträge der Informationsverarbeitung zum Umweltschutz. Wirtschaftsinformatik 35, 4, S. 371 - 385
Rolf, A./ Page, B. (1993): Wechselwirkungen - Informatik und Ökologie- eine widersprüchliche Beziehung. c´t, 3, S. 38 - 41
Scheer, A.-W. (1990): Wirtschaftsinformatik - Informationssysteme im Industriebetrieb. Springer, Berlin.
Sneed, H. (1986): Software-Entwicklungsmethodik, R. Müller.
Stoyan, H. (1988): Wissen wissensbasierte Programme etwas ? in: Heyer, G:/ Krems, J./ Görz, G. (Hrsg) Wissensarten und ihre Darstellung, Springer, Berlin, S. 250 - 261.
Taeger, J./ Weyer, A. (1992): Freier Zugang zu Informationen über die Umwelt, in: Informatik im Umweltschutz, 12, Dez. 92, S. 12 - 18.
(1) Didaktische Möglichkeiten: Fernlehre, Planspiele und neue Medien erfordern ein hohes Maß an Realitätsbezug, da bei diesen Methoden viel stärker als bei Buch und Text die Gefahr besteht, das aufgenommene für Realität zu halten. Damit rückt die Bedeutung der Modellbildung in den Blickpunkt der Lehre (siehe auch 4.4).
(2) Inhalte von IuG
(2.1) Frauen in der Informatik: Gerade für Frauen, die einen anderen, logischeren Ansatz des Herangehens an Problemlösungen in Naturwissenschaften und Informatik haben, sind Modelle extrem wichtig. Die grundlegende Modellierung erlaubt einen strukturierteren Ansatz und öffnet so den Zugang zur Informatik.
(2.2) Tradition und Kritik in der Informatik, Beiträge und Aspekte der Sozial- und Geisteswissenschaften: Erwähnt seinen hier die drei Begriffe Benutzermodell, Mismodelling und Vernatwortung
(2.3) Risiko und/oder Sicherheit - die Verantwortung der Informatik im Umgang mit Daten. Stichworte Mißbrauch von Daten, Darstellungen und Statistiken zur Beeinflussung des Nutzers durch Provokation von Fehlinterpretationen
(3) Kontext(e) von Informatik und Gesellschaft
(3.1) IuG in der Gesellschaft
(4) Was kann Fernlehre leisten?
(4.1) Betreuung von Studierenden
(4.2) Virtuelle contra andere Lehrformen
(4.3) Person und Persönlichkeit des Lehrenden
(4.4) Kritik und Qualitätssicherung:
Die Lernenden haben bei der üblichen Lehrveranstaltung die Möglichkeit, durch Rückfragen und Kritik den Stoff zu hinterfragen. Damit kann der Lehrende sachliche Fehler entdecken, Fehler in der Darstellung oder Herleitung verbessern, nicht adäquate Modelle durch bessere ersetzen. Wie im Lehrbuch ist bei der Fernlehre diese Kritik weitestgehend ausgeschlossen. Provokativ gesagt: die Frage "bin nur ich blöd, oder ist das hier falsch?" wird im Hörsaal ziemlich schnell beantwortet. Das Raunen im Saal, der eine der sich doch traut, die Eskalation der Frage in Inhalt und Form führt zu einer Kontrolle und damit Qualitätssicherung, die der Fernlehre genauso wie der Publikation (wenn sie den Beurteilungsprozeß überstanden hat) abgeht. Der einzelne Brief führt niemals zu einer Information der restlichen Lernenden. Damit wird aber die Verantwortung desjenigen, der Modelle für Inhalt und Darstellung auswählt, größer.